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Notizen aus einer fluiden Wirklichkeit

Zu den Arbeiten von Sylke Spröd

Von Nikolaus von Wolff

Es ist erstaunlich, dass trotz des unübersehbaren Umschichtens und Umpflügens kultureller Gewissheiten, wie sie die globalen technologischen und sozialen Veränderungen mit sich bringen, in der Kunst noch immer stabile Kontinuitäten abgefragt werden: wie etwa die nach der verbindenden Linie der Arbeiten, nach Konzept, Werkzusammenhang oder künstlerischer Zielsetzung.

Als würden nicht längst Gelegenheitsschöpfungen manchmal für Tage, oft für Wochen, zu millionenfach geteilten memes, als würden influencer und Straßenartisten, Kunstinterventionen und Stadtentwicklungsprojekte keine andere Sprache sprechen als die der Großkritiker des späten 20. Jahrhunderts.

In der wechselseitigen Integration von Straße, Netz und Atelier geht vieles auf; selbst das anything goes der 1990er Jahre ordnet sich einer fragilen sozialen Plastik unter, in der allerdings die Innerlichkeit von Schöpfungsprozessen, oder auch die „leisen Töne“ poetischer Überschneidungen oft nur noch durch die Pipeline des Großen und Ganzen geblasen werden. Als die deutsche Malerin Tomma Abts 2006 mit ihren unaufdringlichen, kleinformatigen abstrakten Bildern den begehrten Turner-Preis gewann, wirkte dieses Signal wie ein langersehnter Kontrapunkt.

Die Frage nach der „Handschrift“ darf seither wieder gestellt werden: Der Blick auf bildnerische Auseinandersetzungen, aus denen weniger „Schulen“ entstehen als Einblicke in subjektive Welten, weniger plakative Deutung als differenzierte Struktur.

Wenn dabei die Handschrift selbst zum einzig Verbindenden wird, ohne dass eine Konzeptlinie beengen muss, wenn der Prozess dem Argument vorgezogen wird, ohne dass die Konzeptskepsis selbst wieder zur Strategie wird, dann entstehen Freiräume, in denen subtile Vorgänge in den Bereich des Wahrnehmbaren dringen können.

Sylke Spröd bewegt sich in diesen Freiräumen wie eine Erkundende. Mit ihren bevorzugten Materialien Tusche, Kohle, Kreide, Acryl und Holz schafft sie experimentelle Farbräume, deren Ausformungen keine Einschränkung vorausgeht. Ihre Bilder können figurativ sein oder abstrakt-expressiv, skizzenhaft oder opulent. Was sie trägt, ist eine Handschrift, die über Bildinhalte hinausweist und dem eigendynamischen Zusammenwirken der Materialien Raum gibt.

„Malerin sein“ bedeutet für sie Teilnehmen an einem fluiden Prozess, in dem Grenzen zwischen Alltagswahrnehmung, Formreflektion und Mal-Akt aufgehoben sind.

Sylke Spröds Arbeiten entstehen dabei nicht in “Werkphasen“ oder aus Anlass von gemeinschaftlichen Projekten. Sie sind eher Ausdruck einer fortwährenden Bereitschaft, Konstellationen aus der Sphäre des Alltagserlebens ins Sichtbare dringen zu lassen, gestützt durch kaligraphischen Entlehnungen, Farbformen aus dem japanischen Holzschnitt oder durch ein feines Echo aus der Comic-Welt.

Sylke Spröd verzichtet bewusst auf das Konstrukt einer künstlerischen Linie. Jede Arbeit steht für sich; Serielles findet nicht statt. Titel wie „Weltenwunderland“ oder „Elefantenbaum“ sind Erinnerungsstützen im Flow, keine Programmatik.

„Es gibt eine Blume – ich glaube, sie hat mich gezähmt“ heißt eine von Spröds Acryl-Tusche-Arbeiten. Eine abstrakte, scheinbar natürlich gewachsene Blumenform schwebt in einem psychedelischen Raum – es muss aber keine Blume sein.

Sylke Spröd geht es nicht um Empfindungswelten. Vielmehr gestattet sie dem Material Autonomie zu gegenüber ihrer eigenen Subjektivität – und somit gegenüber dem Betrachter.